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Lernen, trainieren und das Leben genießen

Am 6. November 2021 ging in Graz das vierte von den Naturfreunden Österreich und der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) Steiermark veranstaltete internationale Lawinensymposium über die Bühne - mit hochinteressanten Vorträgen und Workshops für Sportler*innen sowie Fachleute.

Text: Christof Domenig, Redakteur des Magazins „SPORTaktiv“; Fotos: Martin Edlinger, Naturfreunde Österreich

 

Seit der Premiere im Jahr 2015 ist das Lawinensymposium der Naturfreunde Österreich und der ZAMG Steiermark zu einer Institution geworden. Aufgrund der Corona-Situation konnten am 6. November 2021 im Grazer Arbeiterkammersaal nur 499 Gäste begrüßt werden. Die Eintrittskarten waren schon lange im Voraus vergeben.

 

Kameradenrettung üben!

Gleich der erste Vortrag ließ selbst abgebrühte Fachleute im Saal still werden. Patrick Greimel, Bergsportler, Schitoureninstruktor und Bergretter aus dem steirischen Ennstal, erzählte von seinem Lawinenunfall in Kasachstan: „Es war ein Gefühl, als würde dich ein LKW überfahren und mitreißen. Du bist der Naturgewalt ausgeliefert.“ Er habe keine Chance gehabt, irgendetwas zu unternehmen – etwa die Hände vors Gesicht zu nehmen oder den Airbag zu ziehen. Er hatte zwar eine Atemhöhle, steckte jedoch kopfüber im Schnee - wie „einbetoniert“. Letztlich gelang es seinem Bergkameraden Josef, ihn rasch zu orten und innerhalb von zehn Minuten zu befreien. Greimel kam mit leichten Verletzungen davon. „Was ich mitgeben möchte, ist ein Plädoyer für die Ausbildung und die Kameradenrettung. Nur dadurch, dass Josef so professionell agiert hat, habe ich überlebt. Genießt das Leben und übt die Kameradenrettung!“, schloss Greimel (mehr darüber auf Seite 18).

 

Von eben jener Basis für verantwortungsbewusste Wintersportler*innen, die sich ins lawinengefährliche Gelände begeben, – Ausbildung und Notfallmanagement – schlug das Programm einen weiten Bogen bis hin zu fachspezifischen Themen für Profis. Sowohl Einsteiger*innen als auch Expertinnen und Experten profitierten von den Vorträgen.

 

Allein auf Schitour?

Mit konkreten Ratschlägen für Sportler*innen warteten der steirische Bergrettungsleiter Stefan Schröck und der Alpinpolizist Klaus Pfaffeneder auf. Schröck erklärte den Ablauf und das optimale Verhalten nach einem Lawinenunfall, von der Alarmierung bis hin zur Zusammenarbeit mit den Einsatzkräften vor Ort.

Pfaffeneder konfrontierte die Anwesenden mit der Problematik von Soloschitouren, aufgezeigt am Beispiel eines realen Unfalls. Dieser war zum Glück gut ausgegangen, obwohl die Umstände nicht dafür gesprochen hatten. Der Verunglückte, ein erfahrener Bergsportler, hatte zwar seiner Frau sein Ziel genannt, sich aber kurzfristig anders entschieden und niemanden über die Planänderung informiert. Gegen 15 Uhr wurde er von einer Lawine erfasst, gegen 20 Uhr wurden die Einsatzkräfte alarmiert; gegen 21 Uhr konnte das Auto des Abgängigen in einem Nachbartal aufgespürt werden, eine halbe Stunde später wurde vom Hubschrauber aus der Lawinenabriss entdeckt. Als gegen 23.45 Uhr die Einsatzkräfte am Unfallort eintrafen, war es dem völlig Entkräfteten gerade gelungen, sich selbst zu befreien.

 

Pfaffeneder verwies nicht nur auf die Fehler, die dem Sportler passiert waren, und auf die grundsätzliche Problematik von Solotouren, sondern auch auf die technischen Möglichkeiten, seinen Standort über Apps in Echtzeit zu teilen. Noch besser wäre es (weil vom Internetempfang unabhängig), einer Vertrauensperson den Zugang zu seiner Cloud zu ermöglichen, wo Standortdaten ständig gespeichert werden und nachvollziehbar sind – ein wichtiges Sicherheitsfeature.

 

Integrative Lawinenkunde

Reinhold Pfingstner von der Bundessportakademie hatte vor zwei Jahren beim Lawinensymposium über die Bestrebungen für eine einheitliche Lehrmeinung in der Lawinenkunde in Österreich gesprochen. Das diesbezügliche Konzept für eine integrative Lawinenkunde liegt jetzt vor. Pfingstner erläuterte u. a. die Einzelhangbeurteilung: Die Frage, ob man in einen Hang einfahre oder nicht, falle keineswegs nur am Hang, sondern sei ein Prozess von der Tourenplanung über die „kriteriengeleitete“ Beobachtung während der Tour bis hin zum Hang selbst. „Dafür braucht es Basiswissen und fachliches Hintergrundwissen“, betonte Pfingstner und plädierte für einen ständigen Wissenserwerb.

Bergführerausbilder Albert Leichtfried beschäftigte sich mit dem „Faktor Mensch“ in der Bewertung von Lawinengefahren. In die Entscheidungsfindung würden neben objektiven auch subjektive Faktoren massiv einfließen. Darauf verwies auch der Bergführer und Freerider Stephan Skrobar in seinem Vortrag. Er führte menschliche Fallen an – etwa, sich in einem vertrauten Gelände sicherer zu fühlen als in einem unbekannten, oder die Bestätigung durch andere in der Gruppe. Sich diese Fallen immer wieder vor Augen zu führen helfe auch ihm, wachsam zu bleiben, meinte Skrobar.

 

Lawinengefahr kennt keine Grenzen

Aktuelle Fragen aus der Sicht der Lawinenwarndienste standen in der zweiten Hälfte des Symposiums im Zentrum. Bernhard Niedermoser, Leiter der ZAMG Salzburg sowie Leiter des Lawinenwarndienstes Salzburg, stellte den seit letztem Winter vereinheitlichten Lawinenlagebericht für die fünf Bundesländer Salzburg, Oberösterreich, Kärnten, Steiermark und Niederösterreich vor. Die optische Darstellung ist nun einheitlich, die Lawinensituationen werden die Ländergrenzen überschreitend dargestellt. Neben der länderübergreifenden Darstellung haben die Anwender*innen auch die Möglichkeit, detaillierte Informationen über Kleinstregionen abzurufen. „Die Rückmeldungen der Userinnen und User waren sehr positiv“, freute sich Niedermoser und verwies auf eine Onlinebefragung, an der sich über 1350 Personen beteiligt hatten. Auch die Kommunikation zwischen den Warndiensten funktioniere jetzt wesentlich besser als früher.

Auch internationale Vortragende kamen zu Wort: Zum Beispiel Thomas Feistl vom Lawinenwarndienst Bayern, der gemeinsam mit Achim Perl über Schneedeckenbeobachtung zur Gefahreneinschätzung berichtete und auch auf die wichtige Rolle ehrenamtlicher Mitarbeiter*innen hinwies. Ohne die vielen Ehrenamtlichen, die in den Gebirgsregionen u. a. Informationen über den Schneedeckenaufbau sammeln und Schneeprofile erstellen, würden die Lawinenwarnzentralen kaum über ausreichende Informationen verfügen. Die Dateneingabe durch die Helfer*innen erfolgt heute gleich im Gelände mit dem Smartphone.

 

Ein Blick nach Kanada

Paul Dobesberger, Geschäftsführer von Wyssen Austria, stellte ein einzigartiges Lawinendetektionsnetzwerk am kanadischen Rogers Pass vor: In dem weitläufigen, stark lawinengefährdeten Gebiet in British Columbia werden seit drei Jahren alle Lawinen von Lawinenradar- sowie Infraschallgeräten registriert. Durch die gewonnenen Erkenntnisse hat man für das Lawinenrisikomanagement deutlich bessere Entscheidungsgrundlagen als früher zur Verfügung. Gut möglich, dass diese Technologie in Zukunft weltweit beim Einschätzen von Lawinengefahren helfen wird.

 

Variantenfahrer*innen und das Neuschneeproblem

Peter Höller vom Institut für Naturgefahren in Innsbruck näherte sich der Lawinengefahrproblematik von der statistischen Seite. Er präsentierte die Auswertung von Lawinenunfällen mit Schitourengeherinnen und -gehern sowie Variantenschifahrerinnen und -schifahrern in Österreich seit dem Winter 1980/81. Es ließen sich daraus einige interessante Ergebnisse ableiten, so Höller. Auffällig sei etwa die Häufung von Unfällen mit Variantenschifahrerinnen und -schifahrern an den ersten Tagen nach starken Schneefällen. Höller plädierte dafür, speziell für diese Gruppe Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung und Ausbildung bezüglich der Neuschneeproblematik zu setzen. „Hier scheint ein großer Nachholbedarf zu bestehen“, meinte Höller und appellierte an die Vernunft. Tiefschneefahrer*innen sollten am besten erst rund drei Tage nach starken Schneefällen durch unberührten Powder gleiten.

 

Natürlich war auch die Klimaveränderung ein Thema: Der Meteorologe Alexander Radlherr von der ZAMG Innsbruck zeigte anhand von Aufzeichnungen aus den Jahren 2018 bis 2020, dass Starkniederschlagsereignisse vor allem auf der Südseite der Alpen in nie dagewesener Form zu verzeichnen sind. Osttirol und Kärnten, aber auch Oberitalien waren in den vergangenen Jahren von starken Regenfällen mit Hochwasserschäden und von heftigen Schneefällen betroffen.

 

Etliche weitere interessante Vorträge sowie Workshops in kleinen Gruppen rundeten das Programm des Lawinensymposiums ab.

 

Auf ein Neues in zwei Jahren, wenn das erste kleine Jubiläum dieser wichtigen, von den Naturfreunden ins Leben gerufenen Veranstaltung ansteht!

Weitere Informationen

Kontakt

Naturfreunde Österreich
Blick in den Vortragssaal
Naturfreunde-Team mit Bundesgeschäftsführer Günter Abraham am Naturfreunde-Stand
Auch die Workshops waren gut besucht!
Rege Fachdiskussionen im Zuge des Symposiums
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